Berlin (epd). Die professionellen Orchester in Deutschland haben offenbar zunehmend Probleme bei der Nachbesetzung freier Musikerstellen. Zwar gebe es keinen Fachkräftemangel. Allerdings dauere die Besetzung einer Stelle heute wesentlich länger als noch vor zehn Jahren, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung Unisono, Gerald Mertens, am Dienstag in Berlin. Somit gebe es einen wachsenden Bedarf an Aushilfsmusikern, die fair bezahlt werden müssten.
Mertens betonte, die in den kommenden Jahren zu erwartende Pensionswelle bei Berufsmusikern werde zu einer "Verjüngung" der Orchester führen und den Frauenanteil erhöhen. Zugleich verwies er darauf, dass es seit 2018 keine Orchesterschließungen mehr gegeben hat. Die Lage der 129 Berufsorchester in Deutschland habe sich stabilisiert. 1992 gab es noch 168 Berufsorchester. Die Zahl der ausgewiesenen Musiker-Planstellen sei aktuell gegenüber 2022 sogar um 21 auf aktuell 9.770 Stellen leicht angestiegen.
Mertens rechnet bis 2030 mit deutlich mehr Verrentungen als noch vor zehn Jahren. Knapp 50 Prozent aller Berufsorchester hätten grundsätzliche Probleme, ihre Stellen zeitnah zu besetzen. 36 Prozent der Klangkörper meldeten eine Verschlechterung der Besetzungslage in den vergangenen zehn Jahren. Auch steige der Aufwand, denn nur ein Fünftel der Orchester schaffe eine Besetzung offener Stellen in einem Bewerbungsdurchlauf. 36 Prozent benötigten für eine Stellenbesetzung zwölf Monate oder länger.
Als einen Grund nannte Mertens die zunehmende Beliebtheit von kostenlosen elektronischen Bewerbungsportalen. Dies habe zur Zunahme der Bewerbungen auf einzelne Stellen geführt. Zum anderen sinke die Qualität der Musiker, vielen fehle die Orchesterpraxis: "Die Hochschulen bilden zu solistisch aus", sagte Mertens.
Um die Bezahlung der Aushilfskräfte in den Orchestern zu verbessern, hat der Verband eine "Aushilfenampel" entwickelt. "Wir wollen bundesweit erreichen, dass auch Orchesteraushilfen fair und angemessen vergütet werden", sagte Mertens. Je nach Höhe der Orchester-Tarifeinstufung müssten bis zu dreistündige Proben mit 115 bis 160 Euro honoriert werden. Bei ähnlich langen Aufführungen seien es zwischen 165 bis zu 240 Euro. Derzeit sei das nur an neun Orchester-Standorten der Fall. "Bei 50 Standorten steht die Ampel auf 'gelb' und bei 52 sogar auf 'rot'", darunter in Berlin.
Besorgt äußerte sich Mertens mit Blick auf den am vergangenen Donnerstag vorgelegten Bericht des sogenannten Zukunftsrates mit Vorschlägen für Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die wachsenden Unsicherheiten bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würden auch die Zukunft aller Rundfunkklangkörper betreffen. Mertens sprach von einer Reihe offener Fragen. In dem Bericht heißt es auf der letzten Seite lediglich, dass die Zukunft der öffentlich geförderten Rundfunkorchester und -chöre geprüft werden solle.
Die Orchestervereinigung Unisono vertritt nach eigenen Angaben 90 Prozent der festangestellten Berufsmusiker sowie etwas mehr als die Hälfte der frei schaffenden Musiker in Deutschland.